Seit ich nach Deutschland gekommen bin, versuche ich, hinter das Geheimnis der so direkten und vernunftbetonten deutschen Sprache zu kommen. Dabei stoße ich ständig auf neue Kuriositäten. Für mich, der sich intensiv mit der arabischen Sprache beschäftigt hat, ist dies ein Fest.
Fündig wurde ich vor allem, als ich der Frage nachging, wie sich in Deutschland die Liebenden ansprechen. Gibt es hier auch die raffinierten Komplimente, wie sie in Damaskus üblich sind? Gilt doch der Dialekt von Damaskus als reinste Form der Sprache der Liebe. Man denke nur an die Verse, die der bekannte Poet Nizar Qabbani zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts geschrieben hatte, um die Damaszenerinnen zu umgarnen.
Lauscht man dem Liebesgeflüster in Damaskus, so fällt oft der Ausdruck: "Stelle mir meine Blumen zusammen." In Langform bedeutet dies: "Ach, möge ich doch vor meinem Geliebten oder meinem Ehemann sterben, sodass er eine Blume auf mein Grab legen kann." Auch wird oft die Redewendung Tabhani benutzt: Sie drückt den Wunsch aus, die Augen der verstorbenen Liebsten zudrücken zu dürfen, denn der die Augen schließt, ist der Letzte, der in sie hineinschauen kann. Die Redewendung steht für die Unendlichkeit der Liebe.
Ist es möglich, solche Sätze ins Deutsche zu übertragen? Ich glaube nicht.
Viele unserer arabischen Kosenamen scheinen dazu gemacht, von der Liebenden durch die Tür geflüstert zu werden. Sie sind idealerweise an ihren Cousin gerichtet, beziehen sich aber auch oft auf andere Geliebte. Sie lauten: "Geliebter", "Licht meiner Augen", "mein Leben", "mein Herz und meine Seele".
Na, und dann gibt es natürlich auch noch das Wort Habibi. Dieses wird inzwischen auch von vielen Deutschen verwendet, die sich zur arabischen Sprache hingezogen fühlen. Allerdings haben sie es eingedeutscht und sagen Habibi mit einem kehligen h, statt es auf die arabische Art mit einem im Rachen gebildeten H zu hauchen. So ist das eben mit der Liebe über die Grenzen hinweg. Da entsteht immer etwas Neues. Doch wie ist sie, diese deutsche Art, über Liebe zu sprechen?
Gerade hier in Berlin, wo meine Augen überall und an jedem Ort an Liebenden hängenbleiben, die sich innig küssen oder sich anderen Liebkosungen hingeben, frage ich mich: Welche Worte gehen diesen Verführungen voraus? Wie reden sie miteinander? Wie nennen sie sich?
Wie war ich erstaunt, als ich nach und nach dahinter kam, dass in Deutschland Tiernamen besonders beliebt sind. Und was für welche! Auch auf Arabisch ruft der Liebende die Liebende mit den Namen von Tieren. Doch handelt es sich hierbei stets um erstrebenswerte, anmutige Geschöpfe. "Meine Gazelle" ist ein vielbenutzter Kosename.
Liebesgeflüster auf Syrisch geht nur im Privaten
Dabei ist die Gazelle ein Tier, das ungefähr so schwer zu erreichen ist wie "der Mond", was ja auch ein Name für die Geliebte sein kann. Auf Deutsch hingegen sind es fellige, etwas plumpe und ganz und gar gewöhnliche Tiere, die bemüht werden. "Meine Maus", "meine Schnecke" oder auch "mein Bärchen". Ich war erstaunt. Freundlich formuliert: Für arabische Liebende ist dies auf jeden Fall gewöhnungsbedürftig und es wird wohl einige Zeit dauern, bis sich die Neuankömmlinge mit diesen Tiernamen angefreundet haben.
Die Unterschiede sind natürlich kein Zufall. Sie spiegeln all die Verschiedenheit in der Gesellschaft und im Zusammenleben. Das Liebesgeflüster auf syrische Art funktioniert nur im Privaten. Wir flüstern es durch Türritzen hindurch, artikulieren es nur im Geflecht unserer Familienbande. Diese Worte eignen sich nicht für die Öffentlichkeit. Laut und auf der Straße ausgesprochen verlieren unsere Worte ihre Magie.
Aber keine Angst: Natürlich gibt es einen Ausweg. Auch im Deutschen, so wie in vielen anderen Sprachen, sind Begriffe wie "meine Perle" oder "mein Schatz" gebräuchlich. Es gibt also einen Kompromiss, einen Mittelweg: die internationale Sprache der Liebenden. In diesem Sinne: Einen schönen Valentinstag!